2023-05-29
Castrop-Rauxel, 08.01.2023: Wegen Terrorverdachts nahm ein Sondereinsatzkommando (SEK) in Castrop-Rauxel zwei Männer fest – Update per 23.06.2023
Nun hat die Staatsanwaltschaft Anklage bei der Staatsschutzkammer des Landgerichts Dortmund erhoben: Jalal J habe beabsichtigt, durch die Freisetzung der Giftstoffe eine möglichst große Anzahl von arg- und wehrlosen Menschen zu töten, heißt es in einer Pressemitteilung vom 21.06.2023.
Zur Vorgeschichte:
»Einen riesigen Einsatz von SEK, Polizei und Feuerwehr hat es in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Castrop-Rauxel gegeben. Dabei wurden ein 32-jähriger Iraner und ein zweiter Mann festgenommen. Der Verdacht: Planung eines islamistischen Anschlags. Eine besondere Spezialeinheit der Feuerwehr aus Dortmund unterstützte beim Einsatz in der Nachbarstadt.« – So war den Ruhr Nachrichten vom 09.01.2023 zu entnehmen.
»Die Rede ist von der sogenannten Analytischen Task Force (ATF). An acht Standorten im gesamten Bundesgebiet sind Spezialkräfte für verschiedene Bedrohungen stationiert. Einer dieser Standorte ist Dortmund… Beim großen Terror-Einsatz in Castrop-Rauxel waren nach Angaben der Feuerwehr 15 Einsatzkräfte der ATF aus Dortmund vor Ort… Neben der Dortmunder unterstützte auch eine ATF-Einheit aus Essen mit einer sogenannten „B-Fähigkeit“ den Einsatz. Bei der B-Fähigkeit handelt es sich um Kräfte, die speziell für Gefahrenlagen mit Biologischen Stoffen ausgebildet sind. Beide ATF-Teams haben die Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr vor Ort beraten«
NRW-Innenminister Reul spricht in diesem Zusammenhang von einem „ernstzunehmenden Hinweis“. „Wir hatten einen ernstzunehmenden Hinweis, der die Polizei dazu veranlasst hat, noch in der Nacht zuzugreifen“. Es habe einen Hinweis von einer US-amerikanischen Sicherheitsbehörde gegeben, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf der Deutschen Presse-Agentur.
Am Abend dann der Antrag auf Haftbefehl. Gegen die Brüder Monir J. (32) und Jalal J. (25) werde wegen des Verdachts der Verabredung zu einem Verbrechen, nämlich einem Mord ermittelt. „Ihnen wird u.a. vorgeworfen, miteinander verabredet zu haben, einen islamistisch motivierten Anschlag zu begehen, indem sie sich Giftstoffe – Cyanid und Rizin –beschaffen wollten, um mit diesen eine unbestimmte Anzahl von Personen zu töten“, teilt Oberstaatsanwalt Heming mit.
Medial ist in Castrop-Rauxel inzwischen der Teufel los. Zu groß ist die Versuchung für die Lokalredaktion der Ruhr Nachrichten Castrop-Rauxel. Sie fällt über die Männer her, instrumentalisiert diesen SEK-Einsatz für das Thema islamistischen Terror. Obgleich sie zu den hier infragestehenden Verdächtigungen resp. bisherigen Beweisen keinen substanziellen Beitrag leisten kann, kramt man woanders. Man interessiert sich dafür, »was seine Nachbarn über Monir J. wissen«: »Doch wer ist dieser 32-Jährige, der nachts von einem Spezialeinsatzkommando vermutlich aus dem Schlaf gerissen und abgeführt wurde?« So befragt Lydia Heuser die Nachbarschaft. – Und platziert sogar das Foto der verriegelten Wohnungstür des Monir J. in jenem Wohnhaus, in dem auch der Friseursalon „Goldene Schere“ sein Domizil hat.
Ganz spannend machen es Nora Varga und Tobias Weckenbrock: In epischer Breite berichten sie aus der Vita des Jalal J.. Während Nora Varga die Straftat des jungen Mannes spektakulär verbalisiert – »Ein Terrorverdächtiger ist der Ast-Werfer von Dortmund. […] Einer saß bereits wegen versuchten Mordes in Haft« – berichtet Tobias Weckenbrock am 11.01.20223 ganz ausführlich über die sozialen Anpassungsstörungen des „Beifangs“ Jalal J.: »Jalal J. (25) gab schon 2018 vor, Freiheitskämpfer zu sein.« Ich hoffe, der Autor wurde von Jalal J. zu dieser Berichterstattung im Rahmen dieser Festnahme über ihn autorisiert. Auch Straftäter sind schließlich kein Freiwild.
Ja, er ist der Polizei bekannt, jedoch nicht im Zusammenhang mit islamistischem Terror. Und ob er in die Pläne eingeweiht war, steht auch noch nicht fest.
Dass bei beiden nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt und diese Form der Berichterstattung jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt unangemessen sein könnte und daher übergriffig ist, findet bei Nora Varga überhaupt keine Berücksichtigung. Tobias Weckenbrock weist auf die Unschuldsvermutung erst in seiner Berichterstattung vom 13.01.2023 hin.
Am 30.01.2023 wurde bekannt, dass der ältere Bruder aus der U-Haft entlassen wird. Das Amtsgericht Dortmund sah keinen dringenden Tatverdacht mehr bei dem 32-jährigen Iraner. Nicht so bei dem des Terrors verdächtigte Jalal J. Der aber ist Straftäter und befand sich zum Zeitpunkt des spektakulären SEK-Einsatz wg. einer anderen Strafsache im Strafvollzug, so dass davon ausgegangen werden kann, dass er nach diesem für die Strafverfolgungsbehörden schmählichen 08.01.2023 ganz einfach seine Reststrafe verbüßen muss – und niemand darüber redet.
Das Verhalten von Strafverfolgungsbehörden, NRW-Innenminister und Lokalredaktion der Ruhr Nachrichten jedenfalls ist zu rügen insofern, als sie der Öffentlichkeit nach so viel spektakulären Tamtam immer noch die Haftgründe schuldig bleiben.
Auch der Innenausschuss wollte Antworten von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Der gab am 19.01.2023 bei der Sitzung in Düsseldorf Antworten. Aber die gab er im nichtöffentlichen Teil.
„Ich kann Ihnen im nichtöffentlichen Teil mehr erzählen, aber ich habe auch eine Verantwortung und später Ärger im Rücken, wenn ich an manch einer Stelle zu viel erzähle“, erläuterte Reul in der Sitzung, die im Internet live zu verfolgen war. „Es ist leider kompliziert. Sie sollen aber ein Gefühl für die Lage bekommen. Fest steht: Es ist kein Fehler passiert, das kann ich Ihnen versichern.“ – So spricht die Obrigkeit!
Am 19.04.2023 dann: Ein Polizeibeamter spricht vor der Castrop-Rauxeler Politik. Dabei streifte er auch das Thema Sicherheit und Ordnung auf der Langen Straße und den größten und medienwirksamsten Fall der vergangenen Zeit, den Terror-Verdacht gegen zwei Brüder und die spektakuläre Festnahme im Januar 2023. Und dann sagte er in einem Nebensatz: „Beide Personen sind wieder auf freiem Fuß.“ – Ein peinlicher Irrtum, wie wir inzwischen wissen, wie eine Nachfrage der Lokalredaktion der Ruhr Nachrichten bei der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft noch am selben Abend ergab. Staatsanwältin König stellte richtig: „Der Beschuldigte befindet sich weiter in Untersuchungshaft.“
Dieser Vorfall veranlasste mich zu einem Leserbrief an die Lokalredaktion der hiesigen Ruhr Nachrichten, den diese auch ungekürzt veröffentlichte. Ein weiterer Leserbrief in dieser Sache, den ich im Abstand von einer Woche zweimal abschickte, wurden bis heute nicht veröffentlicht (Siehe Überschrift „Leserbriefe“).
Aber was ist aus dem Vorwurf geworden, Jalal J. habe einen terroristischen Anschlag geplant.
Ich finde, die bisherige ministerielle, generalstaatsanwaltschaftliche und mediale Behandlung des Themas hat eine Stigmatisierung der des Terrorverdachts ausgesetzten Monir J. und Jalal J. bewirkt und erfordert zwingend signifikante Belege für die ungeheuerlichen Behauptungen.
Die ungeheuerlichen Behauptungen mischten im vorauseilenden Gehorsam die Öffentlichkeit auf mit „viel Resonanz im Internet und eine Welle des Hasses.“
Leserbriefe:
Ich habe in der Angelegenheit zweimal einen Leserbrief an die hiesige Lokalredaktion meiner Tageszeitung, den Ruhr Nachrichten, gerichtet, mit der Bitte um Veröffentlichung. Auf diese Veröffentlichung warte ich heute noch, was der Grund ist, ihn hier zu dokumentieren:
Am 14.05.2023 um 17:22 schrieb Jürgen Beineke:
Betreff: Re: Polizist verwundert in politischer Sitzung: Jalal J. nicht mehr in U-Haft?
Datum: Sun, 14 May 2023 17:22:34 +0200
Von: Jürgen Beineke <j.beineke@t-online.de>
An: Leserbriefe CAS <castrop@lensingmedia.de>, Weckenbrock, Tobias <tobias.weckenbrock@ruhrnachrichten.de>
Ruhr Nachrichten | Castrop-Rauxel-Ausgabe vom 21.04.2023
Polizist verwundert in politischer Sitzung: Jalal J. nicht mehr in U-Haft?
Sehr geehrte Damen und Herren,
vorgenannter Artikel veranlasst mich zu nachfolgendem Leserbrief, um dessen Veröffentlichung ich Sie höflich bitte.
Terrorverdächtigter Jalal J.
Ich habe da mal eine Frage: Was ist eigentlich aus dem Vorwurf geworden, Jalal J. habe einen terroristischen Anschlag geplant.
Jalal J. und sein älterer Bruder Monir J. wurden in der Nacht zum 09.01.2023 in Castrop-Rauxel ganz spektakulär von einem Großaufgebot an Spezialkräften festgenommen. Die Beiden sollten einen islamistischen Terroranschlag mit Chemie-Waffen geplant haben. „Ihnen wird u.a. vorgeworfen, miteinander verabredet zu haben, einen islamistisch motivierten Anschlag zu begehen, indem sie sich Giftstoffe – Cyanid und Rizin – beschaffen wollten, um mit diesen eine unbestimmte Anzahl von Personen zu töten“, teilte Oberstaatsanwalt Holger Heming von der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf mit. Am 30.01.2023 wurde bekannt, dass der ältere Bruder aus der U-Haft entlassen wird. Das Amtsgericht Dortmund sah keinen dringenden Tatverdacht mehr gegen den 32-jährigen Iraner. Am 20.04.2023 reagierte Staatsanwältin König von der Generalstaatsanwaltschaft auf eine Falschmeldung: „Die Ermittlungen dauern noch an, wann eine Abschlussentscheidung kommt, kann ich noch nicht sagen – vielleicht in drei oder vier Wochen“, so König. – Und die Presse damals mischte im vorauseilenden Gehorsam das Quartier auf und bemerkte danach „viel Resonanz im Internet und eine Welle des Hasses.“
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Beineke
…
Am 22.05.2023 um 10:03 schrieb Jürgen Beineke:
Betreff: Polizist verwundert in politischer Sitzung: Jalal J. nicht mehr in U-Haft?
Datum: Mon, 22 May 2023 10:03:40 +0200
Von: Jürgen Beineke <j.beineke@t-online.de>
An: Leserbriefe CAS <castrop@lensingmedia.de>, Weckenbrock, Tobias <tobias.weckenbrock@ruhrnachrichten.de>
Zweiter Versuch: 20 Wochen nach der Festnahme
Admin - 07:19:54
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